Lieblingsbücher: Liebe und Eigenständigkeit (A. Kohn)

Seit die Little Miss krabbeln konnte, haben Mr. Honkitonki und ich regelmäßig über unsere Erziehung philosophiert... Wie die meiste Eltern haben wir das Meiste eigentlich ganz intuitiv gemacht, ohne irgendwelche Hintergedanken zu haben. Wir haben in diesem Fall aber das »Glück«, dass wir recht gegensätzlich erzogen bzw. aufgewachsen sind (er laissez-faire, ich autoritär), so dass wir über vieles sprechen, um eine gemeinsame Linie zu haben. Dieser regelmäßige Austausch ist wirklich ein kleiner Augenöffner, weil wir uns beide selbst und gegenseitig nach unseren Absichten hinterfragen. Das führte aber dazu, dass ich mich oft fragte, was denn nun eigentlich eine gute Erziehung ist, wenn mir keiner unserer bekannten Ansätze gefiel.

Und so kam ich irgendwann zu Alfie Kohn, der schon im Buchtitel genau das aussagte, was ich mir so für unsere Kinder wünschte: Liebe und Eigenständigkeit. Ich habe das Buch regelrecht verschlungen, weil mich seine Gedanken so fasziniert haben und immer wieder saß ich nur da und dachte: ja, genau das wünsche ich mir für mein Kind!

Ich habe vieles aus meiner Kindheit überdacht und verstehe nun, warum ich als Kind manchmal so unglücklich mit den autoritären Erziehungsmethoden meiner Eltern war. Die Auszeiten, die Kontrolle und die gefühlte Ohnmacht gegenüber einer elterlichen Übermacht. In vielerlei Hinsicht war das Buch eine kleine Offenbarung für mich.
Die Little Miss wird daher anders erzogen, mit einem großen Mitspracherecht (für manche von unseren Bekannten vielleicht schon fast übergroß), mit entsprechendem Respekt für ein gleichwertiges Individuum und einer Kommunikation auf Augenhöhe. 

Dazu folgendes Anekdote: Ich habe viele Jahre lang Postkarten mit Sprüchen und Zitaten gesammelt und darunter ist auch eine Karte mit »Artig musst du nicht sein, es reicht wenn du großartig bist!« Diese Karte hängt bei uns am Wickeltisch und ich habe ehrlich gesagt nie groß darüber nachgedacht, bis meine Nachbarin eines Tages meinte, dass die Karte anders herum irgendwie mehr Sinn in einem Kinderzimmer ergeben würde. Sprich: »Großartig musst du nicht sein, es reicht wenn du artig bist.«

Darüber habe ich lange nachgedacht und dann mit Mr. Honkitonki gesprochen und zum Glück empfand er es genauso wie ich: mein Kind muss nicht artig sein. Sie darf und soll selbstständig sein, mit eigenem Willen, eigenen Handlungen und ja, das wird bedeuten, dass sie Entscheidungen trifft, die mir nicht zusagen. Aber das ist mir lieber als blinder Gehorsam. Sie ist ein eigenständiger Mensch und ich liebe sie so wie sie ist - mit all ihren Facetten. Sie muss nicht funktionieren, wie es mir lieb ist, sie soll einfach nur der großartige Mensch werden, zu dem sie bestimmt ist. Meine Aufgabe ist nicht zu bestimmen wie sie handeln soll, meine Aufgabe ist es ihr dabei zu helfen, ein eigenes moralisches Handlungsmuster zu entwickeln.




Worum es geht

Der Schlüssel des Buches ist eigentlich der Untertitel, der da lautet: Die Kunst bedingungsloser Elternschaft, jenseits von Belohnung und Bestrafung. Und ja, es ist eine Kunst. Obwohl doch hoffentlich fast alle Eltern ihre Kinder bedingungslos lieben, ist es in vielen Fällen nicht die Botschaft, die beim Kind ankommt. Oft wird den Kindern vermittelt, dass ihre Eltern nur dann stolz auf sie sind und sie lieben, wenn sie bestimmte Dinge erreichen. - Eben wenn sie artig sind. Es verlangt unglaublich viel Feingefühl Kinder respektvoll ohne Manipulation und Bestechung mittels Belohnungen und Bestrafungen ins Leben zu begleiten. Kohn zeigt auf, was mit Kindern geschieht, die durch Macht und Kontrolle erzogen werden, die einfach nur im Sinne ihrer Eltern funktionieren ohne selbst bestimmte Wertvorstellungen gebildet zu haben. Dabei stützt er sich auf alte und ganz aktuelle psychologische Studien, die immer wieder belegen, wie unwirksam Strafen und Belohnungen langfristig sind und warum es sich deshalb lohnt, ganz neue Wege zu beschreiten.

Pro

  • die Idee, stets zu überprüfen, ob seine Elternliebe wirklich bedingungslos ist und warum wir eigentlich wollen, dass unsere Kinder bestimmte Dinge (nicht) tun, ist eigentlich banal, aber tatsächlich eines der wertvollsten Gedankengüter, die ich je in Bezug auf Elternschaft gelesen habe
  • mit diesem Ansatz werden Kinder nicht im herkömmlichen Sinn erzogen, sondern entwickeln sich ganz eigenständig zu den (hoffentlich) vorbildlichen Menschen, die wir uns wünschen
  • es ist schön ein Buch zu lesen, in dem Kinder nicht immer als kleine, gierige und unvernünftige Monster dargestellt werden, sondern eben als die guten und wundervollen Wesen, die sie von Natur aus eigentlich sind
  • als ehemalige Geisteswissenschaftlerin bin ich immer etwas frustriert, wenn ich irgendwo lese Studien haben gezeigt... und dann kommt keine Quelle, kein Beleg für diese Aussage - Kohn arbeitet dafür umso wissenschaftlicher mit einer ganzen Palette von wissenschaftlichen Studien und ihren Hintergründen, seine Aussagen lassen sich also tatsächlich belegen
Kontra
  • um dieses Buch wirklich zu verstehen, muss der Leser sehr selbstreflektiv sein, denn in den meisten Fällen bedeutet dieses Buch beim ersten Lesen zu erkennen, wie viel man eigentlich falsch macht (oder auch wie viel die eigenen Eltern falsch gemacht haben) und da muss man doch ganz schön schlucken
  • es gibt nur wenige konkrete Ansätze, was aber daran liegt, dass es mehr eine Lebenseinstellung bzw. Philosophie ist, als ein Erziehungsstil, daher ist es ihm einfach nicht möglich zu schreiben »Tue dies, damit dein Kind das...« - so funktioniert sein Konzept eben nicht, dessen sollte man sich klar sein, falls man zu einem konkreten Problem eine Lösung sucht
  • Kohns Konzept funktioniert prima zu Hause und er versucht in einem Kapitel darauf einzugehen, wie ein solches Konzept in der Schule ebenfalls funktionieren könnte... Ich halte das für sehr unwahrscheinlich und muss auch zugeben, dass ein demokratischer Ansatz in einer Klasse von 30 Kindern kaum funktionieren wird. Meiner persönlichen Meinung nach, ist das ein Punkt, an dem ich meinem Kind etwas anderes vermitteln würde bzw. mir eventuell überlegen würde, mein Kind aus diesem Grund eben nicht auf eine herkömmliche staatliche Schule zu schicken, sondern nach alternativen Schulformen zu suchen...


Es ist kein Erziehungsratgeber, auch wenn er als solcher verkauft wird und ich ihn hier ja mehr oder weniger als genau das anpreisen möchte. Es geht eben nicht darum, bestimmte Konflikte zu lösen. Sondern es geht darum, zu zeigen, warum herkömmliche Erziehungsmethoden nicht unbedingt sinnvoll sind und wie wichtig es ist, seinem Kind stets mit Liebe und Respekt zu begegnen. Der Ansatz verlangt eine ganze Menge Arbeit von den Eltern, nicht vom Kind. Gleichzeitig zeigt Kohn aber auch mit Hilfe von Studien, warum es sich lohnt, soviel Mühe in seinen Umgang mit den Kindern zu investieren.
Es ist ein Buch von dem ich mir wünsche, jede Mutter und jeder Vater würde es vor der Geburt seines Kindes lesen. Man muss gar nicht alles gut finden und gar nicht alles umsetzen, aber zumindest im Hinterkopf haben, was manche Aussagen eigentlich für unsere Kinder bedeuten. Vielleicht ein wenig sparsamer loben und vor allem auf Strafen verzichten. Denn wir alle lieben unsere Kinder ja bedingungslos und wollen nur das Beste für sie und dieses Buch zeigt so deutlich, dass das, was wir für das Beste halten, manchmal trotzdem nicht das Beste für unsere Kinder ist.

In der Praxis

Nun, es ist wie gesagt eben kein Praxisbuch, aber es hilft einfach alltägliche Situationen zu entschärfen. Nach dem Lesen hatte ich oft das Gefühl, dass ich zwar wusste, wie ich nicht reagieren sollte, aber nicht augenblicklich eine entsprechende Alternative parat hatte.
Mit der Zeit ist es besser geworden und man rutscht automatisch in die Philosophie rein. Hier habe ich noch das Glück, dass die Little Miss mit gerade 18 Monaten perfekt zum Üben ist und wir quasi beide in ganz neue Situationen reinwachsen können. Bislang habe ich eigentlich nur sehr gute Erfahrungen gemacht, ihren Wutanfällen mit sehr viel Liebe und Verständnis zu begegnen und viele Konfliktsituationen haben wir durch ein großes Mitspracherecht ihrerseits von Beginn an entschärft. 
Hier muss die Zeit noch zeigen, wie gut wir auf die kommende Autonomiephase vorbereitet sind. Aber ich bin sicher, sie verzeiht es uns, wenn wir nicht gleich perfekt sind. ;)

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